Mittlerweile gibt es immer mehr Beiträge zu Autismus bei Frauen. Die meisten finden sich auf privaten Blogs der Betroffenen oder im Videoformat von Betroffenen oder in Form eines Interviews. Und es wurde Zeit. Autistische Frauen benötigen leider immer noch mehr Gehör und mehr Aufmerksamkeit. Denn der Leidensweg den viele autistische Frauen gehen, ist meist lang.
Warum der lange Leidensweg?
Der Grund für den meist langen Leidensweg der Frauen, ist die Unwissenheit über den weiblichen Autismus beim Fachpersonal. Autismus bei Frauen zeigt sich anders als bei Männern. Wenn sich autistische Frauen Hilfe suchen und nichts über ihren Autismus wissen, kommen sie meist mit Symptomen zum Hausarzt oder Psychiater, die (für sie und das Fachpersonal) zunächst wesentlich offensichtlicher sind, als der Autismus.
Diffuse Ängste
Depressive Verstimmungen (bereits in der frühen Jugend)
Phobien
Essstörungen
Erschöpfung
Schmerzen am Körper
Magen-Darm-Probleme
Konzentrationsprobleme
Anschließend werden sie je nach Leidensdruck zu Psychotherapeuten, in Fachkliniken für Psychosomatik oder in die Psychiatrie weiter verwiesen. Und oft erhalten sie dort weitere Diagnosen, die entweder eine Komorbidität des autistischen Seins sind oder schlicht und einfach falsch sind.
ADHS
Depressionen
Angststörungen und Phobien
Emotional-Instabile Persönlichkeitsstörung (Borderline)
Schizoide Persönlichkeitsstörung
Essstörungen (Bulemie, Anorexie)
Tiks oder Tourette
Dyslexie, Dyskalkulie oder Dyspraxie
Es kann leider auch vorkommen, dass autistischen Frauen ihr Leidensdruck abgesprochen wird und sie nicht Ernst genommen werden. Im Endeffekt erhalten autistischen Frauen nur eine unzureichende Hilfe.
Warum bleibt Autismus bei Frauen so lange unbemerkt?
Historisch gesehen, wurde Autismus nur bei Jungs untersucht. Mädchen waren damals generell weniger wichtig und erhielten somit deutlich weniger medizinische Behandlungen und Aufmerksamkeit. Da früher der Fokus bei Jungs sehr auf die Anpassung an gesellschaftliche Normen bestand, fielen Jungs durch Aggressionen, Meltdowns, fehlende Anpassung oder unflexibles Verhalten zudem stärker auf, als Mädchen. So untersuchte z.B. Hans Asperger den heute bekannten Asperger Autismus ausschließlich bei Jungs und entwickelte bestimmte diagnostistische Kriterien, die im Laufe der Zeit noch weiter angepasst wurden.
Ein männlicher autistischer Phänotyp ist z.B. Sheldon Cooper aus der Serie Big Bang Theory. Die Schwierigkeiten in der sozialen Interaktion fallen stark auf, der Mangel an "Theory of Mind" und das Spezialinteresse für Züge und Physik sind ebenfalls sehr stereotyp. Diese und noch weiteren Eigenschaften des männlichen Phänotypen sind jedoch Voraussetzung um eine Diagnose zu erhalten.
Für Frauen ist es dadurch wesentlich schwieriger eine Diagnose zu erhalten, da die gesamten Kriterien für eine Diagnose auf autistische Männer zugeschnitten ist. Häufig werden sie erst im Erwachsenenalter diagnostiziert.
Weiblicher Autismus: Merkmale
Was zeigt sich der weibliche Autismus?
Frauen / Mädchen zeigen sich meist weniger stark aggressiv, als Jungs / Männer
Frauen können Meltdowns UND / ODER nur Shutdowns erleben
Frauen erleben eher Implosion statt Explosion (Verhalten eher nach innen gerichtet, statt nach außen)
Frauen sind besser im maskieren und kopieren von Verhalten
Frauen können burschikos wirken
Spezialinteressen können sich als typische weibliche Interessen zeigen, aber sind trotzdem sehr obsessiv
Frauen können schüchtern wirken
Soziale Kontakte können anfangs noch gehalten werden, verlieren sich dann aber mit der Zeit
Frauen können meist sehr empathisch sein
Meist starkes Interesse an Menschen und Tieren und sozialen Gegebenheiten
Insbesondere vor der Diagnose können diffuse Ängste und Depressionen auftreten, die man sich schwer erklären kann
Die eigenen Emotionen können schwer beschrieben werden und ggf. schwerer kontrolliert werden
Gesichter können schwerer erkannt werden
Meist ein starkes Bedürfnis nach Kontrolle von Situationen / Abläufen etc.
Gefühl für verschiedene Kontexte einen Personenanzug zu tragen und nicht man selbst sein zu können
Gefühl die wahre Authentizität nur in der Isolation zu erleben
Schwierigkeiten Interaktionen aufrecht zu erhalten oder aufzunehmen (Wie fange ich Gespräche an?), bei Interesse an dem Gegenüber
Probleme mit der Energie, um den Alltag zu meistern
Meltdowns / Shutdowns können weniger stark nach Außen gezeigt werden
Tatsächlich glaube ich, dass der weibliche Autismus lediglich eine Variante des Spektrums ist und weniger etwas typisch weibliches ist. Und dass diese weniger expressive Variante auch Männer haben könnten. Natürlich ist aufgrund des Testosteron z.B. Aggressivität bei Männern eher ein Thema, als bei Frauen, weshalb der Autismus u.a. hier schneller entdeckt wurde.
Allen Autisten ist aber gemein, dass sie Schwierigkeiten mit der sozialen Interaktion und Kommunikation (anstrengend, energieraubend, paradox, unpräzise usw.) haben.
Hier kommt ihr zur inoffiziellen Liste von Samantha Craft, die noch mehr Kriterien für den weiblichen Autismus klassifiziert hat.
Bitte beachtet: diese Liste umschreibt auch nur einen Phänotyp, d.h. einen typischen weiblichen Autisten. Die meisten Autistinnen und Autisten bewegen sich aber zwischen dem männlichen und weiblichen Phänotyp.
Comments