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AutorenbildMelanie

autsensitiv: Die besondere Wahrnehmung der hochsensiblen AutistInnen



Dieser Beitrag wird vermutlich ein sehr explorativer Beitrag und vielleicht mit einigen Konventionen brechen, wenngleich ich versuche nahe der Wissenschaft zu bleiben - so gut es geht.


In einem meiner früheren Beiträge habe ich über den neurodiversen Kombinationstypus 'autsensitiv' bereits geschrieben. Ich hab vor allem über das gemeinsame Wirken meiner autistischen und hochsensiblen Wahrnehmung geschrieben.


Nach der Veröffentlichung erhielt ich vereinzelt Feedback und ein paar Nachrichten, dass sich Menschen darin sehr verstanden fühlen. Insbesondere ein Austausch mit einem Leser ist mir sehr im Gedächtnis geblieben, was mich nun dazu veranlasst einen nochmal gesonderten Beitrag zu schreiben.


Hochsensibel ist nicht gleich hochsensibel!


Viele meiner Leserinnen und Leser sind irritiert darüber, wenn ich schreibe, dass es das Phänomen aus "hochsensibel" und "autistisch" in einer Person gibt.


Zurecht: denn die meisten AutistInnen verbinden mit Hochsensibilität die sensorische und die emotionale Hochsensibilität, die sie in ihrem autistischen Sein täglich erleben. Was ich unter Hochsensibilität verstehe, ist jedoch ein eigenes neurodiverses Sein, welches vor allem von der amerikanischen Psychologin Elaine Aron geprägt wurde und in der Grafik nochmal veranschaulicht wurde.



Meist handelt es sich bei hochsensiblen Personen (HSP) nach Aron um Menschen, die eine feine Wahrnehmung haben, und dadurch z.B. feine Nuancen im Essen schmecken und genießen können. Musik und / oder Kunst bewegt sie emotional stark. Meist sind sie sehr empathisch, neigen zum Helfersyndrom, spüren die Emotionen anderer bei sich selbst, als ob es ihre eigenen wären.


Der größte Unterschied zwischen Menschen, die ausschließlich hochsensibel sind und jenen, die ausschließlich autistischen Menschen sind, ist das intuitive kognitive Verstehen des Gegenübers. Eine Fähigkeit, die sich auf der interaktionaler Ebene bemerkbar macht. Hochsensible bewerkstelligen das in einer extrem hohen Geschwindigkeit, da sie innerhalb weniger Augenblicke ein Gefühl für die kognitive und emotionale "Betriebsanleitung" ihres Gegenübers besitzen. Sie können sich also gedanklich und emotional in das Gegenüber in wenigen Augenblicken versetzen.


Bei der autistische Person kann das kognitive Verständnis des Gegenübers von "gar nicht vorhanden" bis zu "unter Verzögerung vorhanden" variieren. Damit ist gemeint, dass die autistische Person bei einer spontanen Reaktion vielleicht zunächst kein Verständnis für das Gegenüber besitzt, sich aber nach einer gewissen Zeit das Verständnis durch Fragen und Selbstreflexion erschließen kann. Manche autistische Menschen konnten sich dadurch sogenannte "innerliche Mind-Maps" erschaffen, wie sie andere Menschen auch kognitiv besser verstehen können. Das erreichen sie durch Beobachtungen, Ausprobieren oder Selbstreflexion. Meist besitzen solche autistischen Menschen ein ausgeprägtes Interesse an Interaktionen und ihren Mitmenschen.


Hochsensibel und autistisch in einem - geht das?


Die Vorstellung, dass es Menschen gibt, die autistisch und hochsensibel in sich vereinen sollen, erscheint beinahe absurd. Die Fähigkeit für ein kognitives Verständnis des Gegenübers beherrscht man anscheinend entweder schnell (HS) oder (sehr) verzögert bis teilweise gar nicht (ASS). Wie gestaltet sich dann eine Wahrnehmung, die sich dem Postulat zufolge eigentlich ausschließen sollte? Schauen wir uns die epidemiologischen Zahlen an : ca. 15- 20 % der Menschen sind Aron zufolge hochsensibel. Dagegen sind ca. 0,6 - 1 % der deutschen Bevölkerung autistisch.


Es gibt also wesentlich mehr hochsensible Menschen, als AutistInnen. Daher ist es statistisch gesehen gar nicht so unwahrscheinlich, dass unter den 0,6 - 1 % der autistischen Personen ebenfalls hochsensible Menschen gibt.


Ebenfalls dafür spricht, dass sich die Charakteristika von Hochsensibilität mit denen der Autismus-Spektrum-Störung in vielerlei Hinsicht überschneiden.

(--> Falls ihr wissen wollt, ob ihr ebenfalls hochsensibel seid, klickt hier)


Genau dieser Bereich, wo entweder unklar ist, ob nun eine Hochsensibilität oder eine Autismus-Spektrum-Störung vorliegt bzw. sich Personen in beiden Bereichen "irgendwie" wieder erkennen, lässt vermuten, dass beides vorliegen könnte.


Gehört die Hochsensibilität nach Aron mit ins Spektrum?


Tatsächlich ist die Hypothese des autistischen Menschen, der keine Gefühle besitzen sollte, längt mehrfach widerlegt. Autistische Menschen haben sogar sehr starke Gefühle und Emotionen, empfinden stark für ihre Mitmenschen und Tiere (emotionale Empathie), nur haben sie oft Probleme ihre Emotionen und Gefühle ("neurotypisch") auszudrücken bzw. drücken ihre Emotionen, wenn dann auf ihre eigene Wege aus.


Was wäre nun, wenn dies ebenfalls für die kognitive Empathie gilt? Was wäre, wenn autistische Personen die kognitive Empathie nur anders bzw. unter Verzögerung ausdrücken können? Und es damit die Grenze und den Unterschied zur Hochsensibilität nicht mehr geben würde?


Das ist natürlich nur eine Hypothese! Ob sie sinnvoll und richtig ist, kann an dieser Stelle natürlich nicht nachgewiesen werden.


Vielleicht trifft diese Hypothese nur auf Menschen zu, die autsensitiv sind und Menschen, die autistisch sind, können auch mit Verzögerung sich Gedanken und Vorgehensweisen anderer Menschen nicht erschließen.


Aus der Perspektive der Hochsensibilität kann ähnliches angenommen werden:

Menschen, die autsensitiv sind, entdecken vielleicht zuerst die Hochsensibilität an sich. Sie sehen viele Eigenschaften der Hochsensibilität an sich, bemerken aber dennoch ein Gefühl der Unvollständigkeit. Sie halten sich für sehr sensibel, bemerken aber z.B., dass sie deutlich weniger Zeit mit anderen Menschen verbringen können, als andere Hochsensible. Oder dass sie mit der Verarbeitung von Gesagtem deutlich länger benötigen bzw. erst über fremde Ansichten und Meinungen länger nachdenken müssen, weil sie sich sehr schwer tun, sich in ein fremdes Mindest hineinzuversetzen und diese zu integrieren. Trotzdem sind sie empathisch, rücksichtsvoll und unterdrücken ihre Untersicherheit, empfinden sich als ungenügend


Unabhängig davon sollten sich autsensitive Menschen mit beiden Formen der Neurodiversität beschäftigen, um sich vollständig gesehen fühlen.


(Titelbild: (c) Wix.com)

(Hochsensibilität: eigene Erstellung)






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