Die Diagnostik bei Autismus verläuft meistens bei entsprechenden Ambulanzen oder spezialisierten Psychiatern. In München gibt es dazu z.B. die Autismus Ambulanz der LMU München.
Mein erster Versuch einer Diagnose war am Max-Planck-Institut, welches aber geschlossen wurde.
Folgende Stationen habe ich durchlaufen:
2x psychologische Befragung zur Biografie
Ausfüllen von Online Fragebogen (Selbstbeurteilung, Anschauen von Augen zur Erkennung von Emotionen) zu Hause
Telefongespräch mit meinen Eltern (was nie statt gefunden hatte)
Gespräch mit dem Arzt
Diese Abfolge ist sehr typisch für die Diagnostik von größeren Insitutionen.
Warum diese Art der Diagnostik problematisch ist
Natürlich soll versucht werden die typischen Kriterien des Autismus möglichst gut zu erfassen. Die Grundlage dafür ist das ICD 10 (bald ICD 11), welches bestimmte Symptome auflistet, die erfüllt werden müssen. Daher ist es nicht verwunderlich, dass die Befragung auf Ist-Zustände ausgerichtet ist (kannst du jemanden in die Augen sehen oder nicht?) und z.B. kein Kontinuum abfragt (ich kann nur bestimmten Leuten in die Augen sehen).
Ebenfalls problematisch ist, dass Autismus für jede Person unterschiedlich sein kann. Fragebögen, die bereits vorgefertigte Items haben, sind nicht in der Lage die Komplexität, die individuelle Zusammensetzung oder mögliche Veränderungen über einen längeren Zeitraum hinweg zu erfassen. Auch erfassen sie Kompensationsmittel (z.B. Masking) überhaupt nicht.
Auch Intelligenz kann als Kompensationsmechanismus genutzt werden und das autistische Sein hervorragend verschleiern. Das wird in der Befragung mit standardisierten Tests ebenfalls schwierig zu erfassen. Die autistische Person weiß z.B. nicht, ob sie die Frage im Fragebogen im Sinne des Effekts der sozialen Erwünschtheit, in dem Fall dem Masking, durchführen soll oder nicht. Sie stellt sich die Frage, ob sie eine Frage so beantworten soll, wie sie weiß, dass es korrekt ist (z.B. Händeschütteln) oder eher so, wie sie es eigentlich machen würde (z.B. lieber nicht Händeschütteln).
Tests, bei welchen autistische Personen gezwungen werden, in Augen zu blicken (z.B. um daran Emotionen zu erkennen) finde ich grundsätzlich höchst problematisch und sollten vermieden werden.
Ebenfalls komplizierter wird es , wenn die Befragten noch weitere neurodiverse "Besonderheiten" aufweisen, z.B. Hochbegabung, ADHS. Hier kann sich die autistische Person anders präsentieren, als eine Person, die keine weitere neurodiverse Variante aufweist (siehe mein Beitrag zu AutHD). Das wird aber nicht in der Diagnostik berücksichtigt. Nicht immer wird im Erwachsenenalter nach ADHS oder Hochbegabung gefragt oder mit diagnostiziert.
Wie sollte eine Diagnostik am besten durchgeführt werden?
Meine Empfehlung eignet sich nur für verbale Autisten. Ich empfinde die Diagnostik anhand von Online-Fragebögen, bei welchen die Befragten keine Möglichkeit haben während der Diagnostik ihr Verhalten genauer zu erklären, als nicht wirklich aussagekräftig. Ein standardisiertes Vorgehen kann ein guter Hinweis sein, aber meiner Meinung nach reicht es bei einem so komplexen Konstrukt, wie Autismus nicht aus. Das Abschluss-Arztgespräch, welches gerade mal eine Stunde dauert, reicht dafür ebenfalls nicht aus.
Die Diagnostiker sollten am Besten jede Frage der Fragebögen mit der potenziell autistischen Person im Dialog durchgehen. So wurde ich ebenfalls diagnostiziert (siehe mein Weg zur Diagnose)
Vorteile:
Es können beidseitige Rückfragen gestellt werden
Die autistische Person kann ihr Verhalten oder ihre Schwierigkeiten genau schildern
Kompensationsstragien können besser abgefragt werden, z.B. Masking, Stimmung, Meltdowns, Shutdowns,...
Der Diagnostiker erlebt die autistische Person intensiver anstatt nur die Antworten eines Fragebogens auszuwerten
Weitere Neurodiversitäten können entdeckt werden
Nachteile:
Zeitlich aufwändigere Diagnostik inkl. Auswertung
Diagnostik bei Mädchen und Frauen
Mittlerweile wird immer deutlicher, dass sich Autismus bei Frauen anders manifestiert und zeigt, als bei Männern. Trotzdem erfolgt die Diagnostik anhand von Kriterien des männlichen Autismus. Erste Forschungen aus den USA gehen davon aus, dass der Fragebogen ADOS (Autism Diagnostic Observation Schedule) zwischen 41% und 50% der Frauen aussortiert, welche bereits diagnostizierte Autistinnen waren. Bei Männern waren es nur 19%. Das ist ein relativ eindeutiges Zeichen, dass die Diagnostik bei Frauen andere Kriterien benötigt! Leider kommen solche Informationen nicht sofort bei den zuständigen Diagnostikern an.
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