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AutorenbildMelanie

Meine Erfahrung mit Medikamenten bei Autismus

Aktualisiert: 10. Okt. 2022


Für Autismus gibt es keine formelle Indikation für Medikamente. Im Gegensatz zu ADHS, Depressionen oder Schizophrenie.


Bei ADHS liegt eine Dysbalance verschiedener Botenstoffe vor (u.a. Dopamin & Noradrenalin), die mit einem Medikament ausgeglichen werden kann.


Auch bei Depressionen kann eine solche Dysbalance existieren (z.B. Serotonin), ebenfalls bei Schizophrenie (z.B. Dopamin).


Diese "Störungen" sind eindeutige Indikationen, für welche bestimmte Medikamente, die dieses Ungleichgewicht an Botenstoffen auszugleichen versuchen, zugelassen sind.


Bei Autismus gibt es keine Dysbalance der Botenstoffe, die mit einem Medikament ausgeglichen werden können. Jedenfalls ist mir so eine Hypothese nicht bekannt.


Was aber bei Autismus tatsächlich vorliegt, ist eine verstärkte Vernetzung der benachbarten Gehirnareale. Einfach gesagt, ist in einem autistischen Gehirn "wesentlich mehr los", als bei neurotypischen Gehirnen. Vielleicht nehmen wir daher viel mehr Reize wahr und können diese schlechter verarbeiten? Das ist allerdings nur eine Hypothese und nichts Bewiesenes.


Meine Wahrnehmung fühlt sich jedenfalls oft an, als ob eine stark befahrene Autobahn in meinem Kopf existiert. Leider nicht so geordnet, wie eine richtige Autobahn, wo ein Auto nach dem anderen fährt und auf getrennten Fahrspuren. Vielmehr, als ob alles durcheinander fährt. Vielleicht passt der Vergleich eines chaotischen Ameisenhaufens besser. Wenn nichts geordnet abläuft - was leider schnell passiert -, werde ich nervös.


Ich kann dann nicht mehr klar denken und hätte gerne eine Taste, die meine Gedanken verlangsamt, sodass ich jeden Gedanken in Ruhe abarbeiten kann. Häufig fühle ich mich dann unter Strom gesetzt, gehetzt, bin aber meistens gut gelaunt, aber schnell unkonzentriert. Ich befinde mich eigentlich in einem Notfall-Modus. Denn in diesem Zustand versuche ich die so stark benötigte Kontrolle zu behalten, Ordnung herzustellen oder überhaupt zu funktionieren, obwohl es längst zu viel ist. Und es kostet mich sehr viel Energie, was ich leider oft viel zu spät merke. Das passiert häufig, wenn viele Eindrücke, Ereignisse oder spontane, äußerliche Erlebnisse auf mich einwirken. Oder wenn ich sehr lange gezwungen bin zu maskieren und ständig (re)-agieren muss.


Wenn ich keine Pause von meinem Gehirn und den Eindrücken bekomme, fühle ich mich überreizt, werde irgendwann aggressiver und kann irgendwann nicht mehr richtig sprechen. Alles was dann hilft ist Rückzug.


Als ich meiner Psychiaterin davon berichtete, dachte ich zuerst es wäre eine sog. hypomanische Phase im Rahmen einer Bipolaren Störung Typ II. Denn alle Kriterien hatten erst mal dazu gepasst. " Während der hypomanischen Phase hellt sich die Stimmung auf, das Schlafbedürfnis sinkt, und die psychomotorische Aktivität beschleunigt sich" (Quelle: MSD-Manual).


Meine Psychiaterin vermutete aber, dass diese Überaktivität aufgrund einer längerfristigen Überreizung auftrat. Sie schlug mir ein sehr niedrigdosiertes Antiepileptikum vor, welches sie bei ihren Autismus-Patienten im sog. Off-Label-Use schon verwendet hat und sehr gut wirkte. Off-Label-Use bedeutet, dass ein Medikament für ein anderes Krankheitsbild verwendet wird, als es ursprünglich vorgesehen ist. Normalerweise werden Antiepileptika für Epilepsie verwendet, um die Überaktivität im Gehirn zu drosseln. Letztendlich sollte das Medikament genau das gleiche bei mir machen: es soll die Überaktivität aufgeund der Überreizung im Gehirn reduzieren.


Ich nehme sehr ungern Medikamente ein. Vor allem, wenn sie die Wahrnehmung und das Erleben verändern. Ich habe gern alles immer gern im Griff und unter Kontrolle.


Folgende Punkte empfand ich aber als Argument für das Medikament:

  • sehr niedrig dosiert

  • keine Dauermedikation, sondern nur gezielt bei Bedarf nehmen

  • ich kann es jederzeit absetzen

  • ich kann bestimmte Situationen länger aushalten

  • gewinne mehr Lebensqualität

  • die maximalste Nebenwirkung ist starke Müdigkeit

  • keine Abhängigkeit

Und so startete ich den Versuch.


Folgende Effekte habe ich wahrgenommen

  • meine Gedanken sind geordneter

  • es sind generell weniger Gedanken vorhanden

  • es herrscht eine nahezu regelrechte Leere in meinem Kopf, die sehr angenehm ist

  • ich nehme weniger Detailreichtum wahr als gewöhnlich, aber dennoch genug um gut zu funktionieren

  • ich halte länger in sozial-komplexeren Situationen aus

Mein Fazit

Mir hat das Medikament sehr viel Lebensqualität zurück gegeben. Ich nutze es, wenn ich weiß, dass mir ein größeres Ereignis bevorsteht. Oder auch zur Prävention. Wenn ich erste Anzeichen merke, dass ich überreizt bin und erst gar nicht in diesen Modus der längerfristigen Überreizung, in welchem ich die Überreizung nicht mehr spüre, kommen will. Auch zum Schlafen nutze ich das Medikament manchmal. Ich schlafe damit häufig tiefer und weniger unruhig.


Disclaimer: Dieser Bericht dient nicht zur Werbung von Medikamenten, sondern ist lediglich meine individuelle Erfahrung. Wenn ihr glaubt, dass euch so ein Medikament helfen könnte, sprecht mit eurer Psychiaterin / eurem Psychiater darüber.


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1 Comment


andrea.buechter
Mar 18, 2023

Hi, seit heute lese ich aufmerksam mit und da der Blog so cool ist und nahezu perfekt, hier eine kleine Anmerkung: in der vorletzten Zeile zu off-label use ist ein Typo 'aufgeund' LG A.

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